Architektur
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"Fisch 18" in Lübeck: Neuaufbau im historischen Gewand

"Fisch 18" gehört zu den neuen Häusern im rekonstruierten Lübecker Gründungsviertel. Der Entwurf des Hamburger Architekten Henrik Becker leitet sich aus der Form der Ziegel ab.
Text Uta Abendroth
Datum02.12.2022

"Eine eigenständige Fassade war mir wichtig, keine Rekonstruktion", betont Henrik Becker, als wir gemeinsam vor dem Haus "Fisch 18" in Lübeck stehen. Ich sehe in dem Haus mit dem eleganten Schweifgiebel typisch norddeutsche Backsteinarchitektur – und doch ist da so viel mehr. Denn dieses Gebäude steht zwar in einer gewissen Tradition, aber es biedert sich nicht an. Das ist ein Thema, das in Deutschland immer wieder diskutiert wird oder besser: über das noch viel intensiver debattiert werden sollte. Erinnert sei an ein Projekt in der Frankfurter Altstadt. Von den 35 Häusern, die dort zwischen 2012 und 2018 errichtet wurden, sind 15 originalgetreue Rekonstruktionen und 20 Neubauten. Dabei könnten Architektinnen und Architekten viel mehr für ein Stadtbild tun als rückwärtsgewandt nachzubilden oder bloße Zweck-bauten zu entwerfen. Diese entstehen immer noch in vielen Städten, wenn dort marode Bauten aus der Nachkriegszeit abgerissen werden. Dabei sollte mehr im Fokus stehen, sich mit den spezifischen Gegebenheiten vor Ort und der Wohnbaukultur auseinanderzusetzen. Henrik Becker gehört zu den Architekten, die in dieser Hinsicht vieles verbessern möchten

Fisch 18: Wiederaufbau mit neuen Akzenten 

Für den Hamburger ergab sich vor einigen Jahren ein Projekt, das perfekt zu seinem Ansatz passt. Seit 1987 ist die Lübecker Altstadt Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Hier befindet sich das rund 10 000 Quadratmeter große Gründungsviertel. Das Quartier zwischen der Kirche St. Marien und der Trave, in dem Funde auf eine Bebauung ab 1180 hindeuten, wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. In den Fünfzigerjahren entstanden dort zwei Schulen und ein Parkplatz, in den Neunzigerjahren wurden Instandsetzungspläne gefasst. Die nicht mehr genutzten Schulen wurden abgerissen und eine Bebauung auf den 38 historischen Grundstücksparzellen vereinbart. Rund 130 Architekturentwürfe aus ganz Europa wurden für den Wettbewerb eingereicht. Henrik Becker war einer von ihnen. Rund 18 Monate dauerte die Planung für das Mehrparteienhaus mit seinen fünf Wohnungen. Nach zwei Jahren Bauzeit wurden die ersten Wohnungen im Juli 2021 bezogen.

Der Grundriss: "Fisch 18" knüpft an die ursprüngliche Struktur alter Kaufmannshäuser an. Henrik Becker griff sowohl die typische doppelgeschossige Diele im Parterre wie die starke Verengung im spitz zulaufenden Giebel auf. Strukturiert wird der Entwurf durch das Treppenhaus in der rechten Gebäudehälfte, in der sich jeweils die privaten Zimmer und Bäder der fünf Wohnungen befinden. In der linken Hälfte des giebelständigen Hauses liegen die von der Straße bis zum Hof offenen Wohn- und Essbereiche.

Fisch 18: Kaufmannshaus als Leitbild 

Es gab Vorgaben: "Fisch 18" ist eins der Gebäude mit einer giebelständigen Fassade, es sollte die Schönheit der ehemaligen Kaufmannshäuser widerspiegeln und nach UNESCO-Vorgabe eine symmetrische Fassade besitzen. Henrik Becker hat dafür auf rohe Ziegel gesetzt, aus denen sich die Konstruktion ableitet. Auch die massiv gemauerten Bögen folgen der Form der Ziegel. "Darüber hinaus habe ich das Zirkelmotiv für die Fenster und den Schweifgiebel zugrunde gelegt", sagt der 38-Jährige, der in Lübeck aufgewachsen ist und die historischen Häuser der Stadt mit ihrem Bauschmuck gut kennt. Becker wollte allzu verspielte Elemente vermeiden, einzig der angedeutete Kreis bzw. Halbkreis findet sich vom Giebel über die Fenster bis zu den Griffen der Küchenschränke in unterschiedlichen Größen immer wieder. Selbst einige Wände in den Wohnungen nehmen den Rundbogen auf, an den Stellen, wo in den Bädern die Wannen oder Duschen angebracht sind. "Fisch 18" ist strukturell ein recht gradliniger Entwurf, aber es mangelt nicht an raffinierten Details, wodurch die Wohnungen sehr individuell wirken. Henrik Becker hat beispielsweise eine moderne Version der für Kaufmannshäuser typischen doppelgeschossigen Erdgeschossdiele kreiert. Die Verengung der Grundrisse im spitz zulaufenden Raum unter dem Dach haben originelle Grundrisse mit überhohen Räumen ermöglicht. Neben Galeriesituationen werden Wohnräume geschaffen, die sich von Fassade zu Fassade erstrecken. Da das Gebäude beidseitig von giebelständigen Häusern flankiert ist, muss so viel Licht wie möglich durch die vorderen und hinteren Fenster kommen. Das gelingt durch bodentiefe Fenster mit französischen Balkonen. Zusätzlich verfügen einige Wände über Ausschnitte mit Glasbausteinen, die die dahinterliegenden Räume erhellen.

Architektur als Gewinn

Wenn sich der Baulärm in den drei Straßenzügen des Gründungsviertels gelegt haben wird, ist die Lübecker Altstadt um einige architektonische Attraktionen reicher. "Für mich ist es möglich", sagt Henrik Becker, "etwas Neues und Zeitgenössisches zu schaffen, das die Qualität des Bestands hat oder diese sogar übertrifft."

Der Hamburger Architekt des "Fisch 18"– Henrik Becker.

Fisch 18 von Architekt Henrick Becker

Nach seinem Studium an der ETH Zürich assis­tierte Henrik Becker zunächst an der EPFL in Lausanne bei Jeannette Kuo. 2013 gründete er zusammen mit Michael Umbricht das Büro Becker & Umbricht Architekten in Zürich. Seit 2017 arbeitet er als selbstständiger Architekt in Hamburg und rief 2020 mit Atlas eine Initiative für Baukultur ins Leben. Mit dem reetgedeckten Zweifamilienhaus "Haus B" unweit des Timmen­dorfer Strands und dem Giebelhaus "Fisch 18" in Lübeck beweist der 38­-Jährige Eigenständigkeit im Hinblick auf lokale Bautraditionen.