Yes is more
Durch große Panoramafenster kann man der Fernwärmeerzeugung im Inneren zusehen, auf den Gipfel des Skibergs führt ein gläserner Aufzug am Schornstein entlang, und oben, am Verpuffungspunkt, hat BIG zusammen mit den Berliner Architekturkünstlern von realities:united ein besonderes Zeichen gesetzt: Die 25 Meter breiten Rauchkringel, die rund eine Million Mal im Jahr dekorativ aus der Anlage aufsteigen und bis zu sieben Minuten sichtbar bleiben, symbolisieren je eine Tonne CO2, die bei der Müllverbrennung freigesetzt wird. Die schönen Gasringe, die alle 30 Sekunden den Himmel zieren werden, sind also tatsächlich ein Memento mori auf die Konsumgesellschaft. Genauso wie der riesige spitze Eisberg „W57“, den BIG in Manhattans Viertel „Hell’s Kitchen“ gerade errichtet, ans Abschmelzen der Gletscher und Polarkappen erinnert.
Trotzdem ist auch „W57“, wie das New Yorker Projekt in der büroeigenen Kürzelsprache heißt, vor allem ein Beispiel für die Grundphilosophie von BIG, wie Bjarke Ingels sie 2009 in dem Comic-Manifest „Yes is more“ dargelegt hat: dass eine konstruktive Avantgarde sich nicht dadurch auszeichnet, gegen etwas zu sein, sondern für etwas. Anstatt die Welt durch Verzicht und Selbstkasteiung retten zu wollen, glaubt der große Optimist, ihr mit Erfindungsreichtum und Freude eine neue Perspektive aufzeigen zu können. Und die an ihrer Nordseite 140 Meter in die Höhe gezogene Blockrandbebauung am Hudson River, die mit ihrer weißen Haut von Ferne ebenfalls für eine Skipiste gehalten werden könnte, ist die launigste Erscheinung eines Öko-Hochhauses, die die Welt je gesehen hat. 600 Wohnungen in Südhanglage auf einem künstlichen Eisberg rund um eine grüne Stadtoase – mehr „Yes“ geht kaum noch.
Als „Schnappschüsse der Gegenwart“, die Kräfte sichtbar machen, die sonst verborgen blieben, möchte Ingels seine Projekte verstanden wissen. „Die Welt ist organisiert durch unsichtbare Strukturen, soziale, kulturelle, ökonomische und politische Strukturen“, erklärt Ingels in seinem New Yorker Zweitbüro in einem denkmalgeschützten ehemaligen Frachtgebäude in Chelsea. „Daraus ergibt sich Form. Aber die Strukturen selbst sind für das menschliche Auge nicht sichtbar, man nimmt sie nur emotional wahr.“ Die Aufmerksamkeit für diese Strukturen zu schärfen, bedeutet für Bjarke Ingels in der Praxis, Formen zu finden, die veränderte gesellschaftliche Zusammenhänge auch neu darstellen können.
Dieser Ansatz ist seine persönliche Interpretation der analytischen Architekturphilosophie von Rem Koolhaas, bei dem er – wie die A&W-Architekten des Jahres 2012, MVRDV – nach seinem Studium gearbeitet hat. Aber Ingels’ Version des klugen Gebäudes ist sonnig gestimmt und deswegen auch stark interessiert an Unterhaltung.