Architekten als Helfer
M, VR und DV arbeiten heute abgeklärter – und doch, wie Nathalie de Vries es nennt, „mit einem kleinen twist“, mit Gedanken, die um die Ecke führen – und zum Profil von MVRDV geführt haben. „Wir denken heute mehr beyond the image“, erklärt van Rijs. Die „Störenfriede mit spektakulären Projekten“, wie man immer noch häufig im Internet lesen kann, sind komplexer, empathischer und sozialer geworden, avantgardistisch einerseits, anthroposophisch andererseits. Den weltweit so Erfolgreichen geht es um mehr als ums Formale. Van Rijs beschreibt es so: „Wir starten mit der Überlegung, was braucht das Quartier, was ist wirklich notwendig? Wir recherchieren, mischen dann auch die Nutzungen und Angebote. Anders als bei Funktionalisten geht es bei uns um den envelope, die Hülle, in der sehr viel passieren kann.“ Nathalie de Vries fügt hinzu: „Der Städtebau prägt das Haus!“ Und sie schaffen sich symbolisch selber ab. So wurden sie mit dem Projekt „Nieuw Leyden – Recept voor stedelijk wonen“ mehr und mehr zum Berater des „Zelfbouw-architect“, sind nicht mehr nur die gestaltenden Architekten, sondern Helfer und Streetworker.
Es schützt aber auch nicht davor, dass eine der jüngsten virtuellen MVRDVVisionen einen Mediensturm verursacht hat. Das Projekt „The Cloud“ für Seoul sieht eine „Wolke“ aus kubischen Bauelementen vor, die zwischen und um zwei bis zu 300 Meter hohe Wolkenkratzern schweben und ein hängendes Arkadien bilden sollen mit Dingen, die dem Menschen helfen, besser zu leben – Gärten, Terrassen, Atrien, Wellnesscenter, Restaurants (A&W 2/2012). Dumm nur, dass ein Beitrag im Internet den Entwurf mit wirklich frappierend ähnlichen Bildern der nach dem Terrorangriff explodierenden Türme des World Trade Centers in New York konfrontierte. „Is it a celebration of the terrorist attacks that killed 3000 innocent Americans?“, schrillte es durchs Netz. Natürlich nicht. MVRDV bedauert das Missverständnis. Aber da hat sich etwas verändert: Wer global arbeitet, kann auch global angegriffen werden.
Winy Maas, der Schöpfer dieses Projekts, nimmt das in Kauf. Sein Arbeitsschwerpunkt heißt jetzt „Why Factory“. In dieser jungen Institution an der TU Delft geht es um mehr als Architektur. Sie will neue Antworten geben auf neue Fragen zur Urbanistik, zur Gesellschaft, zur Zukunft der Stadt. Sein „Neues Testament“ heißt „Visionary Cities“, ein Büchlein, so dünn wie provokant. Da sind sie wieder, die Störenfriede. Nur anders, denn Maas achtet inzwischen darauf, dass Humor und Ironie nicht in Sarkasmus umschlagen. Als Abwehr gegen alles, was allzu großen Zynikern unter den Architekten drohe: nämlich zu bösen Clowns zu werden. Er träumt weiter davon, Grundsätzliches zu ändern. Vielleicht Architektur mit Nanotechnologie zu befruchten. Sich mit Physikern und Chemikern zusammenzutun. „Es wird wieder Zeit für eine Revolution. Das Jahrhundert des Mittelmaßes ist vorbei!“