Sie sind die Entdeckung auf dem Salone Satellite in Mailand 2004. Dort, wo angehende Jungdesigner in kleinen Boxen wie in kreativen Legebatterien ihre ersten Ideen präsentieren, zeigt die schwedische
Gruppe Front, wie sie das Design von morgen und übermorgen sieht: ein Tisch, der aus nichts besteht als filigranem Astwerk, das in Quaderform gepresst wurde, eine Standleuchte, die sich, wenn sie nicht gebraucht wird, auf den Boden zur Ruhe legt, indem sie ihre Beine einknickt wie die kleinen Holzgiraffen, die in sich zusammensacken, wenn man den Knopf unter dem Sockel drückt. Und eine Vase, die einerseits auf einem Regalbrett steht, andererseits gleichzeitig herunterstürzt. Das Objekt ist beides in einem: Die standhafte Vase und sieben Phasen ihres Absturzes sind, miteinander verbunden, in Keramik eingebrannt. Nur den Aufprall muss man sich dazu denken. Vier junge Damen stehen auf dem Stand, bereit, die ungewöhnlichen Objekte zu erklären. Keine Hostessen. Es sind die Designerinnen: Sofia Lagerkvist, Anna Lindgren, Katja Sävström und Charlotte von der Lancken. Front nennt sich die Gruppe aus Stockholm. Front wie vorne, vorwärts, avantgardistisch. Ihre internationale Präsentation auf dem Salone Satellite ist der Beginn einer erstaunlichen Karriere. In nur fünf Jahren gelingt es ihnen, von kreativen Designstudentinnen zu A&W-Designern des Jahres 2010 zu avancieren. Das schafft man nur, wenn man ihre goldenen Regeln beachtet:
Sucht euch Verbündete!
Die erste Präsentation der Gruppe besteht aus gleich mehreren Kollektionen, die verschiedenen Konzepten folgen. Die Serie „Design by Technology“, zu der der filigrane Asttisch gehört, lotet die Grenzen technischer Verfahren aus. Die fallende Vase und die gemütliche Steh-/Liegeleuchte gehören zu der Serie „Design by Motion“, die Bewegungen in Objekten und bewegliche Objekte erforscht. Besonders umfangreich haben sich die vier jungen Damen aber mit dem „Design by Animals“ auseinandergesetzt. Was im ersten Moment absurd anmutet, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als denkbar, poetisch, vielleicht sogar visionär: Der Abguss einer Hundepfote im tiefen Schnee wird eine individuelle Vase, Mäuse nagen Tapetenrollen an, die dann, über den alten Wandschmuck geklebt, neue interessante Muster und Dessins ergeben, Schlangen drücken sich um noch nicht gebrannte tönerne Zylinder herum und schaffen so funktionstüchtige Garderobenhaken. Und als Höhepunkt: Eine Fliege erschafft einen Lampen- schirm. Und das geht so: Die Fliege fliegt um eine helle Glühbirne, wie das Fliegen so machen. Die Front-Girls filmen die Fliege bei ihrem Rumschwirren, setzen die Flugbahn in ein 3-D-Modell um und materialisieren sie mit dem sogenannten „Rapid Prototyping“-Verfahren. Dabei werden die 3-D-Modelle scheibchenweise aus Kunststoffgranulat in reale Objekte umgesetzt. Das materialisierte Gewirr wird dann um die Glühbirne gehängt. Fertig ist der Lampenschirm. Vielleicht sollte man eher sagen: die Idee eines Lampenschirms.
Die Fliege war auch Titelheldin der ersten großen Geschichte über Front, die kurze Zeit später in A&W 1/2005 veröffentlicht wurde: „Die Geschichte von der Fliege, die vier jungen Schwedinnen half, einen Lampenschirm zu gestalten“.