Design
Kaldewei Future Award Gewinner 2020

„The New Raw“ – Algorithmen und Altplastik

Text Jan van Rossem
Datum05.05.2020
©Robertino Nikolic

Deckel von Plastikflaschen ergeben eine Parkbank. Kaputte Fischernetze werden zu Vasen und Türgriffen. Das Studio „The New Raw“ aus Rotterdam verbindet mit seinen Entwürfen Ökologie, Ökonomie und Ästhetik. Ein klarer Fall für den „Kaldewei Future Award by AW“.

Die griechische Hafenstadt Thessaloniki setzt Zeichen. Dort bevölkern farbige Sitzmöbel den öffentlichen Raum, wie sie sich jeder Stadtverantwortliche nur erträumen kann. Vorn sind sie bequeme Bank und hinten ein Behältnis für üppige Grünpflanzen, sogar ordentliche Bäume. Zusätzliche Funktionen wie eine Halterung für Fahrräder, Vorrichtungen für ein Mini-Gym oder eine Befestigung für einen Hundetrinknapf erhöhen die Beliebtheit bei unterschiedlichsten zwei- und vierbeinigen Zielgruppen.

Vor allem aber sind diese Möbel eine Art Wiederverwertungsanlage für Schraubverschlüsse von Plastikwasserflaschen. Die Bewohner der Stadt waren im Rahmen eines groß angelegten Projektes aufgerufen, die Deckel ihrer zahllosen Flaschen zu sammeln und abzugeben. Die wurden öffentlich fein geschreddert, erhitzt, geschmolzen und mithilfe eines entsprechend programmierten 3-D-Roboters live zu einer farbenfrohen Sitzbank transformiert. Das perfekte Stück für die Stadt: multifunktional, unkaputtbar, wetterbeständig und obendrein noch zu schwer, es mal eben von seinem Bestimmungsort zu entfernen. „Drei Gramm wiegt so ein Verschluss“, berichtet Panos Sakkas. 25 000 braucht man für eine Bank. Das summiert sich zu schwer verrückbaren 75 Kilo.

Panos firmiert gemeinsam mit seiner Frau und Studiopartnerin Foteini Setaki als kreativer (und sonstiger) Direktor des Designstudios „The New Raw“ aus Rotterdam. Wobei Designstudio höchstens die halbe Wahrheit ist. Und Rotterdam auch. Die niederländische Hafenstadt gilt zwar als offizieller Studiositz, mit Herz und Seele sind die beiden Griechen jedoch ebenso am Ort ihrer Zweit-Werkstatt – in Athen. Und das Studio beschäftigt sich zwar mit der Gestaltung von Objekten, aber zugleich mit der Frage des Entstehungsprozesses selbiger – von der Materialfrage bis hin zum Fertigungsprozess. Nicht nur theoretisch, wie es grundsätzlich das Betätigungsfeld eines guten Designers sein sollte, sondern so handfest und real, wie es nur denkbar ist. Neben dem Büroraum der beiden Direktoren, einem eigens konstruierten Raum im Raum in einer alten Fabrikhalle am Hafen, befindet sich, durch transparente Wände getrennt, das Herzstück der Unternehmung: zwei imposante weiße Roboterarme, die nach Eingabe der entsprechenden Algorithmen vollbringen, wo herkömmliches Handwerk versagt.

Foteini und Panos sind ein eingespieltes Team. Im Gespräch ergänzen sie sich perfekt. Lässt einer von beiden den Gedankenstrich in seinen Antworten einen Moment zu lang werden, springt der andere ein und ergänzt die Ausführungen. Auch ihr Studio haben die beiden als eine Fusion von Interessen und Fähigkeiten aufgebaut. „Panos war sehr in das Thema Recycling involviert“, erzählt Foteini. „Ich war spezialisiert auf 3-D-Druck.“

Ihre Wege verlaufen seit Langem parallel. Geboren und aufgewachsen in Athen, studieren sie dort gemeinsam Architektur, verlieben sich und werden ein Paar. „Aber in der Rezession gab es für Architekten keine Aufträge“, erinnert sich Panos. Also entwickeln sie einen Plan B: ein Masterstudium Bautechnik in den Niederlanden. Hier bleiben sie hängen, nicht zuletzt, weil es einfacher ist, in Holland ein Studio zu etablieren. „Rotterdam ist strukturierter als Athen“, sagt Panos. „Hier gibt es staatliche Unterstützung, alles ist verlässlicher“, vollendet Foteini den Gedanken. „Andererseits machen die Menschen in Griechenland alles möglich, dass ein Projekt trotz widriger Umstände funktioniert, wenn es erst einmal gestartet ist.“ Es klingt, als hätten sie das im Chor gesagt.

Da ist zum Beispiel das Projekt „Second Life“: Auf dem Grund der Ägäis haben Taucher aufgelassene Fischernetzen bergen lassen. Eine nicht ungefährliche Aktion. „Die Netze sind Tötungsmaschinen“, bekräftigt Panos fast entrüstet, als er ein Fragezeichen auf der Stirn des Fragestellers zu entdecken meint. Den alten Netzen widerfuhr das gleiche Schicksal wie den Flaschenverschlüssen in Thessaloniki: geschreddert und geschmolzen dienten sie einem Roboter als Spielmasse. Diesmal schuf er Nützliches für den gedeckten Tisch. „Und diesmal haben wir einen Bezug zum Meer gesucht als formales Konzept“, erklärt Foteini die Sammlung von Vasen und Schalen in Muschelformen und Algen-Optik.

"DIE 3-D-DRUCKER BRAUCHEN WIR FÜR UNSERE TESTS"
Foteini Setaki

Da wäre doch eine Kooperation mit Unternehmen wie „The Ocean Cleanup“ denkbar, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Meere großflächig vom Plastikmüll zu befreien. „Im Prinzip ja“, sinniert Panos, zumal die ebenfalls von Rotterdam aus operieren. „Aber sie haben andere Abnehmer, außerdem viel größere Mengen, als wir mit unseren beiden Robotern im Moment verarbeiten könnten.“ Noch gibt es also keinen Kontakt.

Im Studio, in einer Nische neben dem Produktionsraum mit den Robotern, stehen im Regal fünf kleine 3-D-Drucker. „Die brauchen wir für Tests“, erklärt Foteini und fügt mit vergnügtem Lächeln hinzu: „Bevor wir große Fehler machen, machen wir lieber kleine.“

"WIR FÜHLEN, DASS WIR ETWAS GUTES TUN"
Panos Sakkas

Am Nachmittag setzt sich der Roboter in Gang. Aufreizend gemächlich zieht er seine Kreise, genauer den einprogrammierten Parcours. Der erinnert zu Beginn an eine schaukelnde Kinderkrippe, später scheint eine Art Segelschiff sichtbar zu werden, erst wenn die Dreidimensionalität in dem insgesamt etwa achtstündigen Prozess Linie um Linie dominanter wird, lässt sich die Schaukelbank erraten, die das erste Projekt des Studios für öffentliche Plätze in Amsterdam war. Die war damals zu leicht, zu einfach zu verschleppen und es war zu einfach, Unfug damit zu treiben. Wünschen würde man sich so ein entspannendes Modul öfter bei anstrengenden Stadtrundgängen.

„The New Raw“ produziert seine Entwürfe auch für den freien Verkauf. Aber nur auf Bestellung. Ein Lager gibt es nicht. Eine Outdoorbank wie die für Thessaloniki kostet je nach Größe und Ausführung zwischen 1500 und 2000 Euro. Die meisten Exemplare werden von den Projekt-Sponsoren, von Immobilien-Entwicklern und öffentlichen Einrichtungen wie Universitäten geordert.

Wir retten mit unseren Objekten nicht die Welt“, sagt Panos. „Aber wir fühlen, dass wir etwas Gutes tun.“ Foteini nickt. Für eine bessere Zukunft, die die beiden, wenn diese Geschichte veröffentlicht ist, zu dritt erleben wollen. Die Ankunft ihres Sohnes wurde für Anfang Mai berechnet.