Jeder Mensch hat seinen Traum. Oder Albtraum, bitte sehr, aber das ist immer eine Frage des Standpunkts. Norbert Bretz liegt auf einem ausladenden Sofa und schwärmt von dem Alligator, der ihm mal begegnet ist. Irgendwo in einem tropischen Gewässer, er selbst war tiefer hinabgetaucht, der Gigant paddelte ungerührt über ihn hinweg. Aber dieses machtvolle, muskulöse Grün unter dem Licht des Nachmittags, die Palmen am Ufer gebrochen durch das Wasser und seine schimmernde Oberfläche: Das habe ihn nicht mehr losgelassen.
Das Sofa ist grün. Und wenn Bretz den weichen Velours zwischen seine Finger nimmt und ihn zu einer sanften Welle rollt, dann sind alle Farben wieder da: Türkis und Gelb, das Braungrün des schwimmenden Reptils, das warme Leuchten der Sonne, der weiche Glanz des Wassers. Velours ist ein Zauberstoff. Wie ein optisches Gedächtnis zum Drüberstreichen. Auch das Gefühl schwerelosen Gleitens wird wieder wach – aber das ist weniger eine Wirkung des Stoffs. Das liegt an der Polsterung.
Norbert Bretz stellt Sofas her, und wer sehr genau weiß, wie so ein mittel- ständischer Möbelbauer auszusehen und aufzutreten hat, der könnte sich jetzt ein- bis zweimal wundern: Jeans, lange Haare, Mittelscheitel. Schwarze Schühchen, wie Alpinisten sie zum Freiklettern an senkrechten Wänden anziehen, und eine Brille, die deutlich zu erkennen gibt, dass ihre Vorgängerinnen – seit John Lennon und Grateful Dead – wohl kreisrund und aus Nickel gewesen sein müssen. Dieses Modell hier leuchtet in schrillem Orange, genau wie der Kapuzenpulli, genau wie die Balken unter dem Dach von Büro und Werkstatt im rheinhessischen Gensingen zwischen Bingen und Bad Kreuznach. Und wer sich fragt, was denn nun zuerst in der Signalfarbe der Pop-Art strahlte, Brille, Balken oder Hoodie, der hat schon die richtige Richtung eingeschlagen: Dieser Mann wirft sich kopfüber in ein Meer aus Farben und kollektiven Erinnerungen, aus Schwebezuständen, Spinnereien und Geschichten.