AW Architekt des Jahres
AW Architekt des Jahres

AW Architekt des Jahres 2015: Schneider+Schumacher

Datum23.01.2020

Sie sind das architektonische Plus der Mainmetropole und tragen es im Logo: Das frankfurter Büro schneider+schumacher begeistert Bauherren und Architekturkritiker mit originellen und überraschenden Entwürfen, die aber immer in erster Linie eine sinnvolle Lösung der Bauaufgabe sind. Die A&W-Leser wählten sie für den Award "A&W-Architekt des Jahres 2015".

Es gibt nicht viele Architekten, die von ihrem Büro auf eines ihrer Gebäude blicken können. Auf eines zumal, das auch für die Stadt wichtig ist und zu einem ihrer markanten Zeichen wurde: Jeder, der mit dem Intercity nach Frankfurt einfährt, wird dort vom Westhafentower begrüßt. Till Schneider und Michael Schumacher haben das Vergnügen, jeden Tag auf den Turm zu schauen. „Vielleicht müssen wir uns diese Sicht bald verbauen!“, sagt Till Schneider. „Im Wettbewerb für die Umgebung des Frankfurter Hauptbahnhofs haben wir ein Parkhaus direkt vor unserem Fenster vorgeschlagen.“ Doch der verminderten Weitsicht, so weiß Till Schneider, steht die Gewissheit gegenüber, später auf eine attraktive Fassade blicken zu können. Schließlich steht das Büro schneider+schumacher für eine Architektur, die das Machbare mit dem Poetischen verbindet.

Weil nicht nur die Architekten selber das wissen, sondern auch immer mehr Bauherren, gehören die beiden mittlerweile zu den gefragtesten Architekten im Land. Ihr Bravourstück in der jüngsten Zeit war der Erweiterungsbau des Städel-Museums in Frankfurt 2012. In ihrem Werksverzeichnis ragen weiterhin eine ausdrucksvolle Autobahnkirche (A&W 6/13) hervor sowie die Infobox am Potsdamer Platz, die, bevor sie 2001 wieder abgebaut wurde, zu den prominentesten Bauwerken der Republik gehörte. Dazwischen drängt sich eine Reihe unauffälligerer, aber nicht weniger komplexer Aufgaben: Die Sanierung des Dresdner-Bank-Hochhauses in Frankfurt, dazu mehrere Brücken, Schulen und Büros. Das Architekturbüro schneider+schumacher unterhält Filialen in Wien und Tianjin, China, und hat mit seiner Designabteilung auch Leuchten und Möbel, Fassaden und Geländer entworfen.

Mit rund 120 Mitarbeitern arbeiten die Architekten in einem Loft am Frankfurter Hauptbahnhof, und wer sie dort besucht, erlebt ein quirliges Arbeitsambiente in Räumen, wie sie für die Architekten bezeichnend sind. Nüchtern und sachlich, doch zugleich mit wenigen Eingriffen pointiert. Am Eingang begrüßt die Mitarbeiter und Besucher unter einem Glassturz ein Paar quietschegelbe Gummistiefel. Der Gang zu den Toiletten wurde ebenso wie die Sanitärräume selbst von oben bis unten rot gestrichen, inklusive der Decken und Böden. Alles hat eine Bedeutung. Die Gummistiefel waren das Präsent für die Spender und Finanziers des Städel-Anbaus. Das Rot erinnert an die Infobox – jenen Bau, mit dem die Architekten über die Fachwelt hinaus bekannt wurden.

Sieben Jahre arbeiteten die beiden bei deren Fertigstellung 1995 bereits zusammen, heute sind es 28, und davor hatten sie schon zusammen studiert. Die Arbeitsbeziehung ist über all die Jahre lebendig geblieben. Wer den beiden begegnet, erlebt zwei vitale und drahtige Männer, denen man ihre bald 60 Jahre kaum glauben möchte. „Wir arbeiten mehr gut als schlecht zusammen“, grinst Till Schneider. „Wir ordnen die Projekte einem zu“, ergänzt Michael Schumacher, „aber der Verantwortliche bezieht den anderen mit ein.“ „Das tut den Sachen in der Regel gut“, wirft wiederum Till Schneider ein – die beiden antworten im Pingpongstil. Wieder Schumacher: „Das ist natürlich anstrengender, weil du Gegenwind bekommst. Aber das ist ja die Methodik.“ Und Schneider: „Es geht darum, das Projekt präziser zu machen. Aber jeder respektiert die Auffassung des Projektleiters.“

Die entwerferische Strategie dazu, so sagen sie, ist gleich geblieben und heißt „Poetischer Pragmatismus“. Angeeignet haben sie sich diese Haltung bei ihrem Lehrer Peter Cook an der Städelschule. Wer Cooks Bauten kennt, er war der Mitbegründer der von Pop-Kunst inspirierten Gruppe Archigram in den 60er-Jahren und hat später das wulstig-verspielte Kunsthaus Graz gebaut, würde nicht darauf kommen, dass er Vorbild für einen wie auch immer gearteten Pragmatismus werden könnte. Doch Cook war eben nicht nur Architekt, sondern auch Charismatiker und inspirierender Lehrer. „Er hat immer wieder die Frage aufgeworfen: Was ist denn das eigentliche Problem?“, erinnert sich Till Schneider. „Das musste man formulieren und wurde daran gemessen, wie gut man dieses Problem gelöst hat.“ Und Michael Schumacher, in bewährter Manier, ergänzt: „Es gab einen Spruch damals: Wenn du Architektur machst, bedenke, dass das Ergebnis nicht unbedingt ein Haus sein muss. Das öffnet den Blick.“ Und grinst: „Glücklicherweise wollte Cook am Ende doch meist ein Haus.“

„Tucholsky hat mal gesagt: ‚Das Volk kapiert nix, aber entscheidet richtig.‘ Das gilt vielleicht nicht für alles, aber für ein paar grundsätzliche Sachen dann doch“, erklärt Michael Schumacher und nimmt dann die Rolle des durchschnittlichen Frankfurters an: „Der Garten bleibt. Ist doch schön. Da wird nicht wieder rumgeklotzt und so ein Ding hingestellt!“

Einer ähnlich einfachen, scheinbar selbsterklärenden Logik folgte bereits die Infobox am Potsdamer Platz. Gefragt war eigentlich nur ein dreidimensionales Bauschild, das die Neubebauung des Areals begleitete – wahrscheinlich hatten sich die Auslober eine zeltartige Konstruktion mit Alugerüst vorgestellt. Doch schneider+schumacher schlugen eine Box vor, die vor allem deshalb knallrot wurde, damit niemand sie für das erste, fertige Gebäude am Platz halten würde. „Na klar“, sagt Michael Schumacher, „eine Kugelform hätte noch größere Aufmerksamkeit generiert. Aber wir wollten etwas, das einem Baucontainer ähnelt. Zugleich sollte es auch ungewöhnlich sein, deshalb haben wir die Box erstens aufgeständert und zweitens abstrakt gemacht.“ Das geschah durch die Positionierung der Fenster. Weil die sich nicht an den drei Geschossen orientierten, konnten die Funktionen des Gebäudes von außen schwer abgelesen werden. Das Ergebnis: ein Publikumsmagnet; eine Erfolgsgeschichte, die über acht Millionen Besucher anzog. Die Box erhielt mehrere Architekturpreise. 2001 wurde sie abgerissen – der Potsdamer Platz war fertiggestellt; sie hatte ihren Dienst erfüllt.

Möglicherweise wird die Autobahnkirche im Siegerland nicht an diese Besucherrekorde anknüpfen. An der architektonischen Qualität aber liegt das nicht. Die Kirche an der A 45 ist trotz ihrer geringen Größe ein bemerkenswerter Bau. Ihre spitze Silhouette ist von dem Piktogramm abgeleitet, mit dem am Rande der Autobahn auf die Kirchen hingewiesen wird. Die archetypische Form wurde hier jedoch in eine origamihaft gefaltete, weiße Figur aufgelöst. Im Inneren gibt es ein filigranes Holzgewölbe aus 66 vertikal und horizontal verlaufenden Holzspanten. Die wurden aus 650 Einzelteilen ineinandergesteckt, so erhält die Kuppel eine Eigensteifigkeit und trägt sich selbst. So rational die Struktur, so mystisch ist die Raumwirkung: Geheimnisvoll fällt das Licht durch seitliche Öffnungen ein und schafft eine Atmosphäre, die die ruppige Umgebung von Verkehrswegen und Autohof schnell vergessen lässt.

Ein nächstes Projekt der Architekten bildet den größtmöglichen Kontrast. Der Teilchenbeschleuniger in Darmstadt, an dem die Architekten bereits seit 2008 arbeiten, ist sehr groß, kein Neubau, sondern ein Um- und Weiterbau, und die Arbeiten daran sind vor allem technisch begründet. Doch auch hier, wo man zu Recht Forschungsrationalität und Maschinenästhetik erwartet, halten die Architekten an ihren Ansprüchen fest. „Es geht eben auch um Räume, in denen sich Menschen aufhalten“, erläutert Till Schneider, „und darum, wie die Anlage in das umgebende Naturschutzgebiet integriert wird.“ Deshalb wird das einst unscheinbare Wissenschaftsgebäude aus den 70er-Jahren um geschwungene Zufahrten und um begrünte Dächer ergänzt – poetischer Pragmatismus auch im Reich von Antiprotonen- und Ionenforschung.