Architektur
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Alle kennen das „Hôtel Belvédère" – nur wenige wissen, warum es berühmt wurde

Hoch über der Furkastrasse steht das Hôtel Belvédère wie ein Denkmal vergangener Grandezza. Einst Treffpunkt der Reisenden, heute Symbol für Verfall. Werden in diesem Lost Place bald wieder Gäste wohnen?
Text Yvonne Dewerne
Datum10.11.2025

Hoch oben auf 2429 Metern in einer markanten Haarnadelkurve der Passstraße über den Furkapass erhebt sich das Hôtel Belvédère wie ein Aussichtsfenster in die Walliser und Berner Alpen. Das Gebäude zeigt eine hell verputzte Fassade mit einem Sockel aus Naturstein, darüber großzügige Fensterachsen – symmetrisch und elegant – welche den Blick direkt ins Tal und auf das einstige Eisfeld des Rhône‑Gletscher freigaben. Ein Mansarddach mit Gauben und hölzerne Balkone, die mutig über den Hang hinausragen, verleihen dem Haus eine unverwechselbare Silhouette und unterstreichen seinen Anspruch als Grandhotel der Belle Époque.

Hôtel Belvédère: Alpine Grandezza in einer legendären Kurve

Erbaut wurde das Hôtel Belvédère im Jahr 1882 durch Josef Seiler, Sohn des Hotelpioniers Alexander Seiler I., in einem Winkel der Furka­straße, der bewusst für maximale Aussicht angelegt wurde. In den Jahren 1890 bzw. 1903/04 folgten Erweiterungen: Das Satteldach wich einem Mansarddach, zwei Stockwerke wurden hinzugefügt, die Südseite durch vier Fensterachsen verlängert, Balkone aus Holz wurden vor die Fassade gesetzt. Innen entstand ein Ensemble aus Zimmern mit direktem Bergblick, Gemeinschaftsräumen mit hoher Decke und Terrasse – Architektur, die Aussicht, Komfort und Landschaft miteinander verband. Der Fundamentbereich aus Naturstein sichert das Haus gegen Hangbewegungen und Schnee­last, die Obergeschosse mit hellem Putz und Holzdetails setzen klare Linien gegen das alpine Umfeld. Die Fensterachsen öffnen den Raum zur Landschaft, die Balkone laden ein zu verweilen – die Struktur: durchdacht für die Höhe und für die Gäste.

Hoch über der Furkapassstraße thront das Hôtel Belvédère – ein Relikt der Belle Époque, das zwischen Fels und Gletscher wie ein Denkmal alpiner Grandhotellerie in der Zeit steht.

Glanzzeiten und kulturelle Einbettung

In den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war das Hôtel Belvédère eine der Topadressen im Hochgebirge. Um 1907 waren etwa 90 Betten ausgewiesen – ein Zeichen für die Hoteliers­ära im Wallis, die zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg die Zahl der Betriebe vervierfachte. Gäste kamen mit Postwagen ab 1921 oder mit der bald anschliessenden Bahn, um Sommerfrische, Gletscher­besichtigung und Panorama zu erleben. Das Hotel diente nicht nur als Unterkunft – es war Bühne für eine Gesellschaft, die im Schatten der Viertausender ihre Sommer verbrachte. Bekannt wurde das Haus auch durch seinen Auftritt im James-Bond-Film „Goldfinger", dessen legendäre Aston Martin-Szene über die Furkapass­kurven vor dem Hotel spielt. 

Hôtel Belvédère fiel dem Wandel zum Opfer

Doch mit dem Individualverkehr wandelte sich das Reisen. Tagestrips ersetzten Mehrtages­reisen, die Gästezahl sank. Dazu kam ein gravierender Wandel in der Landschaft: Der Rhône-Gletscher zog sich zurück, jene unmittelbare Eisfront, die dem Hotel einst den Namen „Belvédère“ – Aussichtspunkt – gab, war nicht mehr sichtbar. Die extreme Höhenlage machte den Betrieb zunehmend aufwendig: Winterruhe, Transportkosten, dampfende Heizungen und Schnee­lasten belasteten die Architektur und den Betrieb gleichermaßen. 1988 übernahm die Familie Philipp Carlen das Haus, ließ es 1990 neu eröffnen, doch 2015 musste es wieder schließen: Das Hotel steht seitdem leer, die Fenster sind verschlossen, die Balkone stumm. Architektonisch wirkt das Haus wie eingefroren und ist dennoch ein beliebtes Fotomotiv.

Die Wiedereröffnung des Hôtel Belvédère ist in Sicht

Seit einigen Jahren stehen konkrete Planungen im Raum, das Hôtel Belvédère in neuem Glanz zu eröffnen. Investoren und Immobilienunternehmer zeigen Interesse, Sanierung und neue Nutzung sind angedacht. Ziel ist es, die charakteristische Architektur zu erhalten – Mansarddach, Balkone, Fensterachsen – und zugleich Moderne einzubringen: Technik, Komfort, nachhaltige Haustechnik und neue Nutzungskonzepte wie Kunstresidenz, Spezial-Hotel oder Erlebnisort in der Höhe. Die Vision: Ein Haus, das Geschichte und Panorama verbindet, das Architektur und Landschaft zu neuem Leben erweckt – und dabei auch wieder Gäste empfängt.

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