Einig sind sich fast alle, ob neu angekommen oder seit Generationen hier verwurzelt: Leipzig ist oft 'ne Nummer zu groß. Auf sympathische Weist. Kann man wohl sagen! Dieses Rathaus zum Beispiel. Wie eine mittelalterliche Burg. Mit einem „Wachturm" der auch in Zeiten von Hochhäusern die Skyline dominiert. Und dann der Bahnhof! Einer der größten Kopfbahnhöfe der Welt (genau der zweitgrößte) mit gefühlten Ausmaßen des New Yorker Grand Central, aber nur vereinzelt auftauchenden Reisenden in der riesigen Halle. Außerdem gibt es einen modernen Flughafen, ausgelegt für eine reisefreudige Metropole. Die Anzahl von Starts und Landungen ist überschaubar. Na und?
Größe kann nicht schaden. Es dauert ein paar Minuten, bis Julius Popp von seinem Atelier in der zweiten Etage runterkommt und am Eingang von Haus 18 der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei erscheint, um die Besucher einzulassen. Klar, die Spinnerei ist kein wirklicher Geheimtipp – und Julius Popp eigentlich auch nicht. Aber er ist eine Sensation. Genauer: sein Werk. Nein, eigentlich beide... Auf dem Weg ins Atelier kommt er einem Interview-Einstieg lässig zuvor und antwortet ungefragt, ob sich das Kulturzentrum Spinnerei – mit dem Claim „from cotton to culture“ – verändert hat: „Hat es. Zum Guten und zum Schlechten.“ Gut ist, dass die ziemlich maroden Hallen von Investoren ordentlich instand gesetzt wurden. Schlecht ist, dass die Investoren, wie Investoren eben so sind, die Räumlichkeiten möglichst gewinnbringend vermieten. „Als ich hierher kam, hatte ich eine ganze Etage“, erzählt Julius („Wir sagen du, okay?“) auf dem Weg vom Treppenhaus zu seinem Atelier, und man versucht unweigerlich zu ermessen, wie viele Güterzüge hier wohl Platz hätten. „Dann wurde die Halle halbiert, irgendwann hatte ich nur noch die Hälfte von der Hälfte, und schließlich wurde noch mal geteilt.“ Im Atelier angekommen, überwältigt zuerst mal die übrig gebliebene Größe. Unvorstellbar, wie das früher im mehrfach verdoppelten Ausmaß war. „Heute ist unter mir ein Callcenter eingezogen. Ich darf nicht mal mehr fräsen. Zu laut.“
Julius, 45, Charakterkopf (gut sichtbar, da glattrasiert), schlank, austrainiert, gebürtiger Nürnberger, ist Installationskünstler. Eines seiner Werke, sein wohl spektakulärstes, heißt „bit.fall“. Dabei handelt es sich, profan gesagt, um Worte aus Wasser. Worte in riesigen Lettern, die aus unzähligen Tropfen gebildet werden. Julius hat eine Maschine aus zahllosen Düsen entwickelt, die computerberechnet Tropfen fallen lassen, die wiederum von oben beleuchtet Buchstaben und Worte reflektieren. Zauberei. Zauberhaft.
Worte, genauer Informationen und Kommunikation, sind sein Thema. Und deren Flüchtigkeit. Die Worte aus Tropfen bleiben jeweils nur eine knappe Sekunde sichtbar. Julius’ Idee, die Installation hinter einem Trecker herzuziehen und Worte auf die Straße zu spritzen, würde die jeweilige Message, je nach Sonnenintensität, gerade mal ein Viertelstündchen zeigen. Er plant eine Europa-Tour mit dem Trecker, um einende Botschaften zu hinterlassen. Auch seine Maschine, die Tischtennisbälle in Wortformation eine schiefe Ebene herunterrollen lässt, ist auf Kurzfristigkeit angelegt. Die Betrachter dieser Installation sammeln freiwillig die im Raum verstreuten Bälle ein, befüllen die Maschine wieder – um neue Worte zu erleben.
Viele der Projekte sind finanziell riskant für den Künstler. „Ich weiß ja vorher meist nicht, wie aufwendig Werk, Transport und Aufbau werden“, sagt Julius und erzählt von technisch und wirtschaftlich kniffligen Situationen bei der Installation eines „bit.fall“ in Südkorea. „Ist halt nicht so wie bei Neo Rauch.“ Der Großmeister der Neuen Leipziger Schule hat sein Atelier ein Stockwerk höher. „Der braucht eine Leinwand und ein bisschen Farbe. Und wenn das Bild fertig ist, verkauft sein Galerist zu Höchstpreisen.“