Seine Wohnung, zwei Blocks entfernt vom Studio, ist eine Annäherung an seine erste Architekturfantasie. Nicht auf einem Kissen, nicht über einem Wasserfall, aber auf den Dächern zweier benachbarter Stadthäuser hat er sich sein privates Reich geschaffen, das tatsächlich ein wenig über den Dingen schwebt. „Der Fußboden ist schwimmend verlegt auf dem alten Dach, nicht fest verbunden. Er bewegt sich ein wenig, erst durch den Einbau der Bücherregale bekommt er mehr Stabilität“, erzählt er, während er sich wieder mal eine Zigarette dreht und den Besuchern und sich einen obligatorischen Mezcal einschenkt. Ist ja schon früher Nachmittag.
Eine enge Treppe führt hinauf. Am Wegesrand befinden sich noch zwei kleine Räume: ein Gästezimmer, das meist die längst erwachsenen Kinder, Sohn und Tochter, bei aus- gedehnteren Besuchen nutzen, sowie das Foyer, wenn man die ehemalige Garage, die den Eingang bildet, so bezeichnen will. Hier haben ein Klavier und in Dreierreihen Bilder Platz gefunden, letztere von der Tochter, die als Künstlerin arbeitet.
Der Dachausbau ist Kalach pur: Genau genommen ist es ein üppiger Dachgarten, der netterweise noch ein wenig Platz für ein paar Holzstrukturen mit großen Glasflächen lässt, die als Wohn-, Ess-, Arbeitsraum mit Kochecke, Schlafzimmer und kleines Duschbad nutzbar sind. Das Ganze hat den Charme eines Ferienhauses. Das dachte sich auch der Architekt und nutzte den Entwurf gleich noch einmal identisch für sein Beachhouse am Pazifik. Die Welt der Pflanzen hier oben ist so üppig, dass einige bis an die Scheibe vom Wohnraum drängeln. Eines der Lieblingsdetails von Alberto Kalach: „Ich kann ganz nah ans Fenster gehen und die Bienen in den Blüten beobachten. Sie können mich wegen der Re exion nicht sehen. Es ist wunderbar, ihnen aus nächster Nähe dabei zuzuschauen, wenn sie sich putzen.“
Kalach als naturverliebten Träumer oder Poeten zu bezeichnen wäre allerdings höchstens die halbe Wahrheit. Mindestens ebenso charakteristisch ist sein lakonischer Pragmatismus. So überraschend es klingen mag: Struktur ist eines der entscheidenden Grundelemente seiner Architektur. „Für mich muss ein Bauwerk wie ein offenes Buch sein“, sagt er. „Man muss es verstehen können.“
Augenscheinlicher als durch sein erstes kommerziell erfolgreiches und Ruhm begründendes Projekt, die „Bib- lioteca Públicá de México José Vasconcelos“, kann dieses Statement nicht belegt werden. Bei dem von außen nicht sonderlich einladenden Gebäude hat Alberto Kalach sein Engagement auf die inneren Werte gelegt. Der gewaltige Baukörper ist gefüllt mit einer grün gestrichenen Eisen- struktur, die sich zur Decke hin verdichtet. Im Inneren präsentiert sich das Haus als ein einziges mit Büchern ge- fülltes Hochregal, auf das manch ein Versandriese neidisch wäre. Mit diesem Geniestreich schafft Kalach zweierlei: einen Ehrfurcht gebietenden Auftritt des gewaltigen Buch- reservoirs und gleichzeitig eine transparente Leichtigkeit, die den Besuchern die Befangenheit sofort wieder nimmt.