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Interview mit Poltrona Frau-CEO Nicola Coropulis: "Ein Wechselspiel aus Tradition und Innovation"

Der italienische Möbelhersteller Poltrona Frau hat nach 110 Jahren eine neue Phase eingeleitet. Ein Gespräch mit CEO Nicola Coropulis über die Firmenhistorie, zeitgemäße Lederproduktion und die Zukunft als Lifestyle-Marke.
Text Uwe Killing
Datum06.01.2023
Nicola Coropulis führt seit 15 Jahren als CEO das im mittelitalienischen Tolentino angesiedelte Unternehmen Poltrona Frau. Es wurde 1912 vom Sarden Renzo Frau gegründet, lieferte seine hochwertigen Polstermöbel zunächst an Fürstenhäuser und entwickelte sich zu einer weltbekannten italienischen Designmarke. Neben Möbeln fertigt Poltrona Frau auch luxuriöse Lederausstattungen für Autos (u. a. Ferrari und Maserati), Schiffe und Flugzeuge. Poltrona Frau unterhält Flagship-Stores in aller Welt.

AW: Das Unternehmen Poltrona Frau begeht in diesem Jahr sein 110-jähriges Bestehen. Für das Jubiläum haben Sie einen ungewöhnlichen Claim gewählt: "100+10 years of true evolution". Warum?

Nicola Coropulis: Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich unsere Welt dramatisch verändert, zudem hat die digitale Transformation das Arbeitsleben weiter nachhaltig beeinflusst. Hier war es entscheidend, dass wir als Unternehmen einen neuen Pfad beschreiten, uns zugleich aber auch treu bleiben. So verstehen wir wahre Evolution: Wir müssen uns differenzierter und globaler ausrichten, dabei aber fest mit unseren Wurzeln verbunden bleiben.

AW: Wie definieren Sie Tradition?

Nicola Coropulis: Es gelten immer noch die Werte, die unser Gründer Renzo Frau geschaffen hat. Möbel von Poltrona Frau sind in exzellenter Handarbeit und mit einer Leidenschaft für hochwertige Details gefertigt, und sie spiegeln die Eleganz des klassischen italienischen Designs wider. Das ist unsere DNA. Am Anfang hat sich Renzo Frau am britischen Design orientiert und dieses in eine eigene zeitgemäße Form überführt. Diese Evolutionsschritte wollen wir auch heute immer wieder gehen. Ich möchte da gerne den Musiker Gustav Mahler zitieren. Er sagte: "Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme."

AW: Auf der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile präsentierten Sie in Ihren Jubiläums Kollektionen auch eine neue, farbenfrohe Version des Poltrona-Frau-Sessels "Archibald". Wofür steht dieser?

Nicola Coropulis: Der von Jean-Marie Massaud im Jahr 2009 entworfene Sessel zählt zu den Design-Ikonen, die man mit dem Namen Poltrona-Frau-Sessel verbindet, genau wie der "Infinito"-Tisch, der "Sanluca"-Armsessel oder das Bücherregal "Albero". Mit Felipe Pantone haben wir einen der bedeutendsten jungen internationalen Künstler gewinnen können, um "Archibald" neu zu interpretieren. Wir brauchen diese Offenheit für Impulse aus der Kunst und einer zeitgemäßen Designsprache. Und Pantones Arbeit hat uns gezeigt, dass in dessen digitaler Drucktechnik die Magie von Massauds Original erhalten bleibt. Genau so verstehe ich Poltrona Frau: Es ist stets ein produktives Wechselspiel aus Tradition und Innovation.

Das module Poltrona-Frau Sofa „Happy Jack“ (Design: Ludovica und Roberto Palomba).

AW: Sie gelten als eine der bekanntesten Marken Italiens. Von der Regierung wurden Sie im vergangenen Jahr mit dem Gütesiegel "Historische Marke von nationalem Interesse" ausgezeichnet. Wie italienisch ist Poltrona Frau im Jahr 2022?

Nicola Coropulis: Wir stehen weiterhin hundertprozentig für die große italienische Designtradition. Dennoch sind wir in den vergangenen Jahren sehr viel internationaler geworden. Als ich im Jahr 2007 begann, verkaufte das Unternehmen rund 75 Prozent der Möbel auf dem heimischen Markt, die Exportrate in andere europäische Länder, die USA und Asien lag bei nur 25 Prozent. Heute ist es genau umgekehrt, und vor allem der chinesische Markt hat enorm an Bedeutung gewonnen. 2012 beschäftigten wir rund 500, in diesem Jahr sind es 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überall in der Welt. Diese unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten prägen unser global agierendes, divers ausgerichtetes Unternehmen und sorgen für einen großen kreativen Input.

"Wir verstehen uns längst nicht mehr nur als reiner Möbelhersteller, sondern als Marke, die einen ganzen Lebensstil kreiert."
Nicola Coropulis

AW: Sie stellen nicht nur Möbel her, sondern statten auch die Interieurs von Autos und Schiffen aus, haben bei weltbekannten Gebäuden wie beim Louvre-Museum in Abu Dhabi oder der Hamburger Elbphilharmonie die Innenausstattung geliefert. Inwieweit ist Poltrona Frau noch eine Möbelmarke?

Nicola Coropulis: Unser Unternehmen basiert auf den drei Säulen Wohnen und Büro, Kundeninteriuer und dem Bereich, den wir "Interiors in Motion" nennen. Man kann die Bereiche auch als die Seelen von Poltrona Frau bezeichnen. Sie sind untrennbar miteinander verbunden. Im zurückliegenden Jahrzehnt haben wir mehr als 200 verschiedene Produkte auf den Markt gebracht. Wir beschäftigen uns aber nicht nur mit der Produktentwicklung, sondern forschen in unseren drei Konstruktions- und Fertigungseinheiten zunehmend nach Gemeinsamkeiten und Lösungen, die der wachsenden Nachfrage nach individuellen Zuschnitten gerecht werden. Denn wir verstehen uns längst nicht mehr als reiner Möbelhersteller, sondern als Marke, die einen ganzen Lebensstil kreiert.

Tisch „Homey“ mit Lounge-Stühlen „Nice“ (Design:GamFratesi)

AW: Wie sieht der aus?

Nicola Coropulis: Es sind Menschen, die eine hohe Produktqualität, elegante Wohnlichkeit und eine besondere Designsprache auf der Höhe der Zeit schätzen. Die Kundinnen und Kunden, die zu Hause ein Poltrona-Frau-Sofa besitzen, können beispielsweise in einem mit stilvollen Ledersitzen ausgestatteten Auto zur Oper fahren, wo sie dann auch wieder auf unseren Sesseln Platz nehmen. Deshalb haben wir auch langjährige strategische Partnerschaften mit Luxusmarken wie Ferrari oder Acqua di Parma geknüpft. Es gibt also sehr ausgewählte Berührungspunkte mit der Marke, und wir arbeiten intensiv daran, diese zu stärken und die Community von Poltrona Frau weiter auszubauen. Wir möchten das Leben in den unterschiedlichsten Bereichen mit Produkt-Exzellenz und unserer besonderen ästhetischen Handschrift bereichern.

AW: Die Marke Poltrona Frau hat sich ihren Ruf vor allem durch ihre hochwertigen Lederprodukte erarbeitet. Leder ist ein Naturprodukt, doch das Gerben ist aus Sicht des Umweltschutzes nicht unproblematisch. Wie reagiert Ihr Unternehmen darauf?

Nicola Coropulis: Für die meisten unserer Möbel verwenden wir bereits unser neu entwickeltes Ledermaterial "Less Impact". Dabei verzichten wir beim Gerben ganz auf Chrom, verwenden natürliche Inhaltsstoffe und haben den Wasserverbrauch stark reduziert. Die Abfallprodukte werden im Einklang mit EU-Richtlinien konsequent recycelt, und unsere Partnerbetriebe haben sich verpflichtet, zur Kompensation neue Bäume zu pflanzen. Im nächsten Jahr wollen wir den Anteil des klimafreundlichen "Less Impact"-Leders auf 70 Prozent steigern und spätestens im Jahr 2025 ausschließlich damit produzieren.

AW: Sie haben zum Jubiläum auch Ihre Ziele für nachhaltige Produktion in den Fokus gestellt. Wie weit geht Ihr Engagement?

Nicola Coropulis: Wir haben nicht nur unsere Lederfertigung komplett umgestellt, sondern forschen auch intensiv an alternativen, umweltschonenden Materialien. Über eine Solaranlage auf dem Dach unseres Hauptsitzes in Tolentino decken wir derzeit die Hälfte unseres Strombedarfs selbst und wollen das zügig ausbauen. Der Anspruch, langlebige Qualitätsprodukte herzustellen, ist für uns ein wertvolles Erbe und zugleich der Ansporn, auch in Zukunft alle Energie in den Ausbau unseres innovativen globalen Labels zu stecken. Dabei ist die künstlerische Experimentierlust genauso wichtig wie der Einsatz nachhaltiger Technologien. Wir haben in jüngster Zeit gespürt, welche Grenzen wirtschaftliches Wachstum hat. Dennoch blicke ich optimistisch in die Zukunft, weil wir bei Poltrona Frau eine gesunde, starke Basis haben. Unser evolutionäres Wachsen verbindet sich mit Langlebigkeit, Qualität und Innovationskraft.