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Valencia – Welthauptstadt des Designs: Diese Stadt hat Stil

Wer Valencia besucht, um Design zu entdecken, der muss nicht lange suchen. Schon auf der Taxifahrt ins Zentrum verrenkt man sich den Kopf, um durchs Fenster einen Blick auf die kunstvollen Fassaden der Jugendstilbauten zu werfen. Und beim Einchecken im Hotel strahlt auf dem Nachttisch eine goldene Leuchte des Designers Pepe Fornas, entworfen für Aromas del Campo aus Valencia. Die Keramikkunst, aber auch das Möbel- und Leuchten-Design haben hier und in der ganzen Region eine lange Tradition. Und auch die Fallas, das große Figurenfest der Stadt, sind ein kreativer Motor: In die Fertigung der Figuren fließen viele gute Ideen und viel solides Handwerk. Mit dem diesjährigen Titel zur Welthauptstadt des Designs rückt auch zeitgenössisches Design in den Fokus, wir haben hinter die Kulissen geblickt und Kreative in drei ganz unterschiedlichen Studios besucht.
Text Jutta Christoph
Datum05.04.2022

Architekt und Designer: Vicent Martínez

Als Vicent Martínez 1976 sein Studio Vicent Martínez Disseny gründete, kannte er in Spanien kein Geschäft, das Designer-Möbel verkaufte. Der Architekt nahm sich vor, diese Marktlücke zu füllen, die Entwürfe stammen von ihm selbst und von befreundeten Designern. Nach der langen Franco-Diktatur empfanden viele wie Martínez. So setzte in Valencia und im ganzen Land ein Design-Boom ein.  „Spanien entwickelte eine eigene Formensprache, als Vorbilder dienten der skandinavische Minimalismus und der Bauhausstil“, erzählt Vincent Martínez. In dieser Tradition erfand er 1985 das in seiner Form schlichte „Literatura“, eine größere Konstruktion, in die ein Regal auf Rollen integriert ist.

Es wurde ein Klassiker, binnen kürzester Zeit verkaufte es sich tausendfach in Europa. Sein Regal-Konzept veränderte der Designer im Laufe der Jahre dann nur minimal, heute passen in das Bücherregal auch größere Objekte wie ein Computer oder ein Flachbildschirm.

Kreatives Arbeiten im historischen Ambiente

„Literatura“ begleitet Vicent Martinez bis heute, in seinem Büro im eleganten Ensanche-Viertel steht das Ursprungsmodell auf seinen ikonischen roten Rollen. Seine Möbelfirma hat er vor zehn Jahren verkauft, nun widmet er sich ausschließlich dem Produktdesign und tritt als engagierter Lehrer und Förderer des Designs auf. Die Räume in einem historischen Wohnhaus teilt er sich mit den jungen Kreativen Ramón Arnau und Mariola Reyna. Die Nachwuchsdesigner entschieden sich nach dem Studium in Valencia zu bleiben – wegen der hohen Lebensqualität und den vielen Handwerkern in der Stadt. „Wir profitieren von ihrem enormen Wissen und lernen wertvolle Techniken für unsere Möbelentwürfe“, sagt Ramón Arnau. Ihr lederbezogener Pouf „Lugga“ ist von historischem Reisegepäck und dem Lederhandwerk inspiriert. Seitlich ist ein Messinggriff angebracht, ähnlich einem Kofferscharnier.

Den Fächer „Senzu“ gibt es in verschiedenen Holz-Varianten, er lässt sich auf zwei Arten öffnen.

„Die Verbindung von Design und Handwerk gehörte schon immer zu Valencias Stärken“, sagt Vicent Martínez, der selbst aus einer Handwerkerfamilie stammt. Sein Großvater und Vater bemalten Fächer. Da lag es nahe, dass er für die Welt-Designhauptstadt die Ausstellung „Design the Air“ (für das Keramikmuseum González Martí) kuratiert hat, für die 16 internationale Designer einen Handfächer gestalteten. „In Spanien hat der Fächer eine lange Tradition und ist mit Gefühlen und Emotionen verbunden“, so Martínez. 

Inspiriert von der Antike: Ana Illueca

In den Arbeiten von Ana Illueca vermischen sich Poesie, Kunsthandwerk und Design, Inspiration für ihre Keramikkollektionen schöpft sie aus ihrer Umgebung – und dem reichen mediterranen Erbe. Für das Blätter-Dekor der Teller und Gefäße „Komorebi“ experimentierte sie beispielsweise mit Metallglanz, einer mittelalterlichen Technik, die typisch für ihr Land ist. „Für den metallischen, goldenen Glanz wird eine Mischung aus Blei, Kupfer und Silber auf die Keramik aufgebracht, so kann man den Eindruck von Licht und Schatten erzeugen“, erklärt die Töpferin, deren Atelier nicht weit vom Hafen und Stadtstrand entfernt liegt. Die Formel für diese Art von Glasur geht auf die Mauren zurück, die in mehr als 700 Jahren Herrschaft auch in dieser Region sichtbare Spuren hinterlassen haben. In der alten Töpferstadt Manises im Nordwesten von Valencia wird die Metallglanztechnik noch immer angewendet.

„Barbecho“ heißt diese Kollektion von Gefäßen. Jedes ist ein Unikat und wird per Hand bemalt

Glasuren, die glitzern wie das Meer 

Für „Komorebi“ ließ sich Ana Illueca von den Palmen und Orangenbäumen in Valencias Straßen inspirieren, wo die Blätter der Bäume bei Sonnenschein Schattenmuster auf den Asphalt werfen. „Komorebi“ ist japanisch und bedeutet „Licht, das durch die Blätter der Bäume fällt.“ Ideen für Muster und Farben zieht Ana Illueca auch aus Büchern über antike Tongefäße. Wenn ihr ein Dekor gefällt, greift sie das Detail heraus und entwickelt dafür neue Farben. Der Effekt: „Das Muster erinnert dich an etwas und ist zugleich aktuell.“

Viele Rohmaterialien für ihre Arbeit sammelt sie auf Spaziergängen auf dem Land, wo sie wohnt. „Dort findet man Böden in den unterschiedlichsten Tönen“, erzählt die Keramikerin. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sammelt sie in ihrer Werkstatt alle Reste von Ton und Glasuren, die bei der Arbeit anfallen und fertigt daraus neue Stücke, etwa die Steingutfliesen „Mediterrane Bits“, bemalt mit Glasuren in Kobalt und Kupfergrün, den typischen Farben des Mittelmeers.

Ana Illueca ist davon überzeugt, dass Valencias Keramik das Potenzial hat zu wachsen und noch bekannter zu werden. Die Voraussetzungen seien günstig: Es gibt mehrere Töpferschulen in der Stadt, Produktionsstätten sowie Steinbrüche in der Region, in denen das Rohmaterial abgebaut wird. Für die Welt-Designhauptstadt erstellte sie eine digitale Karte, auf der man die Adressen von über hundert professionellen Keramikern in der Region Valencia findet: „Wir müssen Netzwerke bilden, um gesehen zu werden.“

Erleuchtung mit Furnier: LZF Lamps

Ein Kunst-Happening Anfang der 1990er Jahre war die Geburtsstunde der Leuchtenfirma LZF Lamps. Die Malerin Mariví Calvo und der Musiker Sandro Tothill luden Künstler zu einer Party ein, drückten ihnen ein Stück Holzfurnier und eine Lampe in die Hand und sagten: Denkt euch etwas aus. „Es wurde ein sehr lustiger Abend mit vielen interessanten Entwürfen“, erinnern sich die Firmengründer. Bis aus den Ideen hochwertige Leuchten entstanden, die technischen und ästhetischen Ansprüchen genügen, bis LZF Lamps an den Start ging, war es ein längerer Weg.

Einblick in die Manufaktur in Valencia, wo die Leuchten aus Furnierholz entstehen

Skulpturale Formen für besondere Lichtreflexe

Gefertigt wird vor den Toren der Stadt, Handwerker wählen die Furniere nach Transparenz und Maserung aus, schneiden, bemalen und biegen sie in Form. Für ihre Kollektionen arbeitet LZF Lamps inzwischen mit Designern und Künstlern weltweit zusammen. So entstehen immer neue überraschende skulpturale Formen, für die der Werkstoff Holz mit Glas, Leder und Metall kombiniert wird. Bei der Leuchte „Dune“, einem Entwurf des Madrider Studios Mayice, umhüllt ein mundgeblasenes Borsilikatglas eine Röhre aus Furnier mit dimmbarer Lichtquelle. Das Glas besteht aus zwei symmetrischen Enden und einer unregelmäßigen, zwiebelförmigen Mitte, die Lichtreflexe entstehen lässt.

„Mit der Wahl zur Designhauptstadt wird Valencia in der Welt bekannter, aber die Türen öffnen sich auch nach innen“, meint Mariví Calvo. Valencias Kunsthandwerker, Keramiker, Schreiner und Schneider hätten nicht immer die verdiente Wertschätzung bekommen. Der Titel könnte helfen, das zu ändern: „Es geht nicht darum, immer mehr Objekte auf den Markt zu bringen, wir sollten wertvolle und wunderschöne Dinge entwerfen.“

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