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Wie das neue Designverständnis Kunstbegriff und Funktion verschmelzen lässt

Die Kunst genügt sich selbst, Design braucht eine Aufgabe. Stimmt das noch? Wenn die Genres aufeinandertreffen, entsteht in jedem Fall ein vibrierendes Ensemble. GaleristInnenen und KünstlerInnen finden, im Collectible Design ist alles möglich – und im besten Sinne außer Kontrolle.
Text Tina Schneider-Rading
Datum17.06.2025

Marcin Rusaks Großvater war Blumen­züchter, der Pflanzengeruch und die fruchtbare Wärme gruben sich ins Bewusstsein des Warschauer Künstlers ein, heute verewigt er diese Kindheitserinnerungen in seinen Objekten. Um handgeschweißte Stahl­ strukturen gießt er Blätter in transparentes Harz und überlässt sie dann dem Lauf der Zeit. Sie wel­ken und verblassen, manchmal überzieht Rusak sie mit Zink. Die Leuchten aus der „Protoplasting Nature“­Serie kosten mehrere Zehntausend Euro. Sammlerdesign – das heißt intensive Arbeit am Material und zugleich ein gut nutzbares Stück Gestaltung. Die Schnittstelle ist ein Hotspot für Kreative: von KeramikerInnen wie Teresa Berger oder Anestis Michalis bis zu GlaskünstlerInnen wie Maarten de Ceulaer und Milena Kling. Rope in München, das Vaust Studio in Berlin, die Collecti­ ble Design Fair in Brüssel und New York: Galerien und Messen boomen.

Versuchsfeld voller Zwischentöne

Ob streng limitierte Entwürfe, Auftragskunst oder exzellente Formgebung in Serie: Galeris­ tInnen wie Gestaltende scheuen die eindeutige Abgrenzung zwischen den Fachbereichen Kunst und Design. Die Arbeiten von Sarah Illenberger gelten als Kunst, leben aber genauso vom hohen Unterhaltungsfaktor. Die Designerin mit Studio in Berlin versucht eine Begriffsklärung: „In der Kunst ist vor allem die Aussage wichtig, genauso wie der Künstler und der Raum, in dem die Kunst inszeniert wird“, sagt sie. „Design verorte ich eher im privaten Bereich. Es findet statt im alltäglichen Gebrauch.“ Gerade diesen demokratischen Ansatz findet sie so reizvoll: Ihre „Love Candle“ etwa sieht sie mehr auf einem Nachttisch als auf einem Podest in einer Galerie. „Ich mag die Distanzlosigkeit, die Nähe zum Publikum, zum Sammler.“ Architekt und Designer Robbe Vandewyn­ gaerde hat mit seinem Bruder Nik und dem ge­meinsamen Freund Oskar Eryatmaz in Brüssel die Galerie Objects with Narratives eröffnet. Im Portfolio: Collectible Design. „Für uns kann alles als Kunst akzeptiert werden – solange das Werk eine überzeugende Erzählung enthält, den Sta tus quo infrage stellt, Reaktionen hervorruft und dem Kunden durch eine grundlegende Verbindung einfach gefällt“, fasst er zusammen. Der Galerist definiert Design als weitere, gleichwertige Kunstform, ähnlich wie ein Gemälde oder eine Skulptur. „Gerade Sammlerdesign wird mit viel Zeitaufwand und manchmal sogar mit sehr teuren Materialien hergestellt.“ Zum Beispiel verwendet der Schmied und Architekt Conrad Hicks für seine Bronze- Hocker Werkzeuge, die er eigens für diese Objekte hergestellt hat. „Als wir mit der Galerie begannen, suchten wir nach Geschichten in den Werken durch starke Konzepte“, sagt Vandewyngaerde. „Heute wissen wir, dass die Erzählungen in den Materialien und Handwerkstechniken selbst stecken können.“

Virtuosität mit klarem Briefing

Auch für Illenberger gehört der Werkstoff zum Kern der Gestaltung: „Ich muss ein Material erst einmal mit den Händen begreifen und spüren. Ich muss es mit ins Leben hineinnehmen.“ Bethan Laura Wood, deren Schaffen schon im Victoria and Albert Museum gezeigt wurde, arbeitet ähnlich eng am Material. Für Kaldewei entwarf sie 2023 erst- mals Muster für Waschbecken und Wannen aus Stahl-Emaille. „Für mich ist es reizvoll, mit Materialien zu arbeiten, die ich noch nicht erkundet habe“, sagt sie. So entstanden Oberflächen mit sanften Wirbeln, die neben ihrem Nutzen den ästhetischen Anspruch hervorheben. Ist das Teamwork mit Herstellern eine Kunst für sich? Illenberger hat für Hermès ikonische Schaufenster gestaltet, für Kvadrat ließ sie Kritzeleien auf Stoff drucken. „Im Idealfall ist es ein Paartanz, man bewegt sich miteinander vor und zurück“, sagt sie. „Mir fällt es manchmal schwer, dabei meine Identität nicht zu vernachlässigen. Es ist zudem eine Herausforderung, den professionel- len Maßstab zu halten – und zugleich nicht allzu professionell zu werden.“ Im ausufernden Dialog drohe das Objekt seinen Spirit zu verlieren: „Ich muss dann wieder neu anfangen. Also: Computer zuklappen, back to scratch, möglichst bei lauter Musik. Der koreanische Künstler Nam June Paik hat den Satz geprägt: ‚When too perfect, lieber Gott böse.‘ Perfektion ist nicht erstrebenswert, man soll den Menschen wahrnehmen können hinter der Arbeit.“ 

Bodenreform: Aus Kunst wird Design

Dieser Wiedererkennungseffekt ist besonders aus- geprägt, wenn Kunstwerke in Design verwandelt und neu aufgelegt werden. So gelten die abstrak- ten Teppichmotive von Eileen Gray (aufgelegt von ClassiCon) und der Grafikerin Anni Albers (editiert von Christopher Farr) aus den 1920er-Jahren heute nicht nur als visionäres Design, sondern als Kunst zum Anfassen.
Auch Enzo Mari, Gaetano Pesce und Nathalie du Pasquier bedienten die Felder Kunst und Design zugleich – sie sind leuch­tende Vorbilder für Sarah Illenberger: „Bei ihnen sind die Grenzen verschwommen. Daran orientiere ich mich in meiner Arbeit.“ Skeptiker sehen Design als Kunst, die benutzt wird und daher mit der Zeit an Wert verliert. „Das finden wir seltsam“, sagt Galerist Vandewyn­ gaerde. „Wir glauben, dass man ein Kunstwerk mit allen Sinnen und nicht nur visuell erleben kann.“ Mit anderen Worten: Collectible Design bringt uns bei, wieder in einer guten Geschichte zu versinken. Es lädt ein, sich intensiv mit Details auseinander­ zusetzen, vielleicht auch Fehler im Material oder Zufälle im Prozess als ästhetische Geschenke wahrzunehmen. Und etwas Besseres lässt sich wohl kaum über Gestaltung sagen.

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