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Augen für die Natur: Das einzigartige Projekt "Ex of In House" von Steven Holl

Es ist eine einfache Holzhütte, die den Horizont mit Hilfe fantasievoller Geometrie erweitert: Das Experiment "Ex of In" von Steven Holl steht nahe New York für eine visionäre naturverbundene Architektur.
Text Dominic Bradbury
Datum16.12.2022
Auffällig unauffällig: Holzrahmenhütte und umwaldete Skulptur in der Landschaft des Hudson Valley: Um das Gebäude legte der Architekt eine zu­rückhaltende Terrasse aus Naturstein an.

Die Lage des Mietobjekts "Ex of In House" ist einzigartig. Inmitten der Wälder des Hudson Valley im US-Bundesstaat New York garantiert es seinen Gästen ländliche Abgeschiedenheit und absolute Ruhe. Gleichzeitig gehört das international bewunderte Holzhaus zu den wenigen Architekturikonen der USA, die über das Portal Airbnb frei buchbar sind. Steven Holl, der das „Ex of In“ vor sieben Jahren errichtet hat, freut die permanente Auslastung seines Hauses. "Die Menschen bleiben gerne hier", sagt der Architekt, "obwohl es gegen alle Regeln der Immobilienbranche verstößt. Es hat keine Schlafzimmer, bietet jedoch ausreichend Platz für fünf Personen."

Das helle, extravagant verschachtelte Objekt liegt etwas versteckt zwischen Bäumen in einem 28 Hektar großen Naturschutzgebiet in Dutchess County. Ursprünglich war das Grundstück vor einigen Jahren von Investoren auserkoren worden, um darauf fünf Vorstadthäuser zu bauen. Doch Steven Holl, der seit mehr als 30 Jahren in der Nachbarschaft, im Ort Rhinebeck lebt, erwarb das Areal, um es seinem Campus T Space hinzuzufügen. Hier befinden sich neben seinem Privathaus eine zum Atelier umgebaute Jagdhütte, ein Forschungszentrum und eine Bibliothek.

Betont luftig: Die Eingangshalle ist trotz des begrenzten Hüttenformats weitläufig angelegt: Von hier aus geht es zum Wohn- wie Küchenbereich und über eine Treppe auf ein Zwischendeck mit Ruhezone.

Kugeln, Rundungen und offene Räume

Die Holzhütte besteht aus vier sich kreuzenden Kugeln. Die Kreisform wird auch im Inneren aufgegriffen. Man betritt Räume, in denen sich Ecken und Kanten sanft verflüchtigen. Diese haben lediglich eine Grundfläche von 85 Quadratmetern, die Ausgestaltung verleiht jedoch ein Gefühl von Weite und Offenheit. In der luftigen Eingangshalle stehen zwei Routen zur Auswahl. Eine führt eine Stufe hinunter in ein Wohnzimmer sowie den Küchen- und Essbereich, die andere über eine Treppe in ein Zwischengeschoss. Hier befindet sich ein Mehrzweckraum mit Wohnf läche und Platz zum Meditieren, eine Badewanne aus Zedernholz im japanischen Stil und eine Ruhezone inklusive eines Futonbettes. Ein großes Rundfenster rahmt die nahen Baumkronen ein. "Durch diese Öffnungen fokussiert auf die Bäume zu blicken", sagt Steven Holl, "ist elementar."

Anders liegen: Eine Kapsel, in der man wohnt, entspannt und sich der Natur immer ganz nah fühlt. Das Einbausofa kann zum breiten Bett umfunktioniert werden.

Die Konzentration aufs Wesentliche

Die Idee zur „Ex of In“-Hütte kam Holl bei einem Spaziergang. Als er von einem Campus-Hügel in den Wald hinabstieg, habe er eine starke Energie gespürt, ein Abtauchen ins "In", ein Empfinden, das er in das Haus transformieren wollte. Holl spricht vom "Ideal des heiligen Raumes", der die Kraft sinnlicher Schönheit entfaltet und sich außen so leicht wie möglich in die Landschaft fügt, anstatt sich auszudehnen oder die Umgebung zu überwältigen. Die Reduktion und die konzentrierte Fläche sind wesentliche Aspekte im Konzept. "Es ist ein Haus der Kompression", betont Holl. Steven Holl ist ein bekennender Stadtliebhaber, dessen Architekturbüro größtenteils in Manhattan angesiedelt ist. Doch sein Rückzugsort im Hudson Valley bietet ihm und seiner Familie Auszeiten vom New Yorker Großstadtleben. Das "Ex of In House" hat sich wunderbar in Holls ländliche Welt gefügt und erinnert an ein anderes sehr frühes Holzhütten-Experiment: die Waldhütte am Walden Pond (Massachusetts).

Dorthin hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Philosoph Henry Thoreau zurückgezogen, um eine neue innige Verbindung zur Wildnis zu finden. Das daraus resultierende Buch "Walden" gilt als früher Klassiker der Ökologiebewegung. "Wir haben dafür gesorgt, dass das 30 Hektar große, bewaldete Grundstück mit seinen großen Steinvorsprüngen nicht zerstückelt wird", sagt Holl. "Das ist unserer Ansatz, das Ideal Thoreaus von der Verschmelzung des menschlichen Lebens mit der Natur umzusetzen." Der experimentelle Ansatz und die Geometrie der Kabine seines "Ex of In"-Projektes stehen im Kontext einer Reihe weiterer Gebäude, die Steven Holl entworfen hat, von seinem "Y House" in den Catskills-Bergen nahe New York (1999) bis zur "Wrinkled Planar Villa" (2017). Es sind kleine, innovative Landhäuser, während der 74-Jährige bei seinen renommierten öffentlichen Gebäuden eher im großen Maßstab arbeitet. Dazu zählen die Bibliothek Hunters Point im New Yorker Stadtteil Queens, das Institute for Contemporary Art an der Virginia Commonwealth University und der Lewis Arts Complex an der Princeton University.

"Jedes Gebäude hat eine Idee", sagt Holl, "und sie drückt sich durch einen innovativen Einsatz von Materialien, experimenteller Technik und einen dynamischen Ansatz für Komposition und Form aus." Die Ideen vertiefen sich mit der Anfertigung von Modellen und dem Zeichnen von Aquarellen. So nahm auch das "Ex of In"-Projekt Gestalt an. Die skulpturale Qualität des Hauses wird auf der Außenseite durch seine klaren Umrisse be-tont. Im Inneren kamen reduzierte, weitgehend natürliche Materialien zur Anwendung. Für die Innenwandverkleidung und die Decken wurde ausgiebig Birkensperrholz verwendet – zur Unterstreichung der nestartigen Atmosphäre der Hütte. Fensterrahmen, Bücherregale, Küchenschränke, die Treppe und andere Einbauelemente wurden aus Mahagoni hergestellt. Einbauschränke funk-tionieren zugleich als Raumteiler. Es existieren nur wenige frei stehende Möbelstücke im Haus. Sie könnten zu sehr ablenken in der Aura von Einfachheit und Reinheit.

"Das Licht und die absolute Stille sind wesentlich für die Erfahrung, die man in dem Haus macht. Um hier zu sein. Und zu sein."
Steven Holl

Sonnenenergie und ein autarker Ökokreislauf 

Die Symbiose mit der Natur zeigt sich nicht nur in der Architektur und bei den verwendeten Baumaterialien. Mittels Erdwärmepumpe und Fotovoltaikdach erzeugt das Haus seinen eigenen Strom. Im Winter kommt ein Holzofen zum Einsatz. Ein Wasserbrunnen und ein eigenes Abwassersystem komplettieren den autarken Ökokreislauf. Die Landschaftsgestaltung folgt ebenfalls dem Weniger-ist-mehr-Prinzip. Eine kleine Terrasse fügt sich unauffällig ins Grün, auf der Südseite ist ein Froschteich angelegt worden. Im Wald hat Holl einen anderthalb Kilometer langen Skulpturenpfad kuratiert. Das Büro von Steven Holl ist mit unterschiedlichen Projekten in den USA beauftragt, erst jüngst wurde das Nancy and Rich Kinder Building im Museum of Fine Arts in Houston, Texas, und das Kommunikationszentrum The REACH im Kennedy Center in Washington D.C. fertiggestellt. Die Projekte im T Space von Rhinebeck haben für Steven Holl eine besondere Bedeutung, schließlich kann der Architekt hier Arbeiten und Auftanken wunderbar verbinden. Ähnlich wie die Mieterinnen und Mieter, die im Gasthaus regelmäßig wechseln. Holl: "Ich sehe "Ex of In" als eine Art Belvedere zum Betrachten der Natur, aber es geht dabei um mehr: Das Licht und die absolute Stille sind wesentlich für die Erfahrung, die man in dem Haus macht. Um hier zu sein. Und zu sein."