Architektur
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Pritzker-Preis 2021 geht an Lacaton und Vassal

Die Ära der Starachitekten scheint endgültig vorüber: 2021 wird der Pritzker-Preis an Jean-Philippe Vassal und Anne Lacaton verliehen. Die französischen Architekten erhalten die weltweit höchstdotierte Architekturauszeichnung für ihren klugen Ansatz im Umgang mit dem Erbe der Moderne und ihre ethische Berufsdefinition des Architekten.
Text Jeanette Kunsmann
Datum17.03.2021

Der Pritzker-Preis 2021 geht in diesem Jahr an Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal aus Frankreich. Ihr erstes gemeinsames Haus war eine Strohhütte, die sie 1984 in der Wüste von Niamey gebaut haben. Ein halbes Jahr lang hatten die beiden Architekten damals nach einer geeigneten Sanddüne für ihre Hütte gesucht, der eigentliche Bau dauerte zwei Tage. 

Zwei Jahre später wurde das Strohhaus vom Wind zerstört. "Lacaton und Vassal sind radikal in ihrer Zartheit und mutig durch ihre Subtilität, die einen respektvollen und dennoch unkomplizierten Umgang mit der gebauten Umwelt in Einklang bringt", lobt der Juryvorsitzende Alejandro Aravena.

To find the minimum to make the maximum

Weitere Mitglieder des Preiskomitees waren in diesem Jahr neben Aravena auch die Pritzker-Preisträger Benedetta Tagliabue, Kazuyo Sejima und Wang Shu. „Die Hoffnungen und Träume der Moderne, das Leben vieler Menschen zu verbessern, werden durch ihre Arbeit wiederbelebt“, würdigt die elfköpfige, international besetze Jury das Œuvre von Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal.  

In seinen Neu- und Umbauprojekten verfolgt das Duett verschiedene Strategien mit dem Wunsch nach einer optimistischen Zukunft und nimmt damit eine eigene und neue Position in der zeitgenössischen Architektur ein: für ein gutes Gebäude ist nicht die Form, sondern Atmosphäre, Klima und Komfort entscheidend.

"Sie erreichen Hoffnungen und Träume der Moderne durch ein starkes Gefühl für Raum und Materialien, das Architektur schafft, die in ihren Formen ebenso stark ist wie in ihren Überzeugungen, in ihrer Ästhetik ebenso transparent ist wie in ihrer Ethik."

„To find the minimum to make the maximum“, lautet ein Leitspruch von Anne Lacaton, 1955 in Saint Pardoux la Rivière in der Dordogne geboren, und Jean Philippe Vassal, der 1954 in Casablanca geboren wurde und auch längere Zeit in Marokko und Nordafrika gelebt hat. Beide haben in Bordeaux studiert, wo sie sich an der Ecole d’Architecture kennenlernten; beide haben in Niamey gearbeitet. 

Dass sie trotz schmaler Budgets Räume von opulenter Größe produzieren können, beweisen Projekte

  • wie das umgebaute Palais de Tokyo in Paris,
  • die bewohnbaren Gewächshäuser mit den markanten Polykarbonat-Fassaden in Mulhouse
  • oder der umgebaute Tour Bois le Prêtre, der als Schlüsselprojekt des Duos gilt.
"Never demolish, never remove or replace, always add, transform and reuse. "
Das Credo der Architekten

Gelebte Philosophie: Graue Energie 

Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal begegnen dem Bestand stets mit maximalem Respekt und hinterfragen dabei mit einem eigenwilligen Selbstverständnis ihre Rolle als Architekten. „90 Prozent von einem Projekt sind bereits da, bevor man überhaupt anfängt zu bauen“, zeigt sich Jean Philippe Vassal überzeugt.

Schon bei dem Haus am Cap Ferret, einem der Frühwerke des Büros, kann man dieses Prinzip des maximalen Respekts beobachten. Hier sollte kein Baum gefällt werden; das Bestehende wurde gepflegt und geschützt. „Uns war von Anfang klar, dass wir keinen einzigen Baum fällen, nicht einen“, sagt Anne Lacaton. „Genauso wie in dem Tour Bois le Prêtre: Die Bewohner sind wie Bäume im Wald. Welches Recht habe ich als Architekt, dies zu verändern und zu entscheiden, was gut und was schlecht ist?“

Eine eher stille Architektur

Die Entscheidung der Pritzker-Preis-Jury für Lacaton Vassal, bedeutet vor allem Hoffnung in einer wenig zuversichtlichen Zeit. Anne Lacaton und Jean Philippe Vassal gelten als Vertreter einer Position, die nicht auf spektakuläre Architektur abzielt – sie sind damit das Gegenbeispiel der Stararchitekten, die sich mit ihren Gebäude-Skulpturen im Stadtbild verewigen wollen. 

Stehen bei anderen Architekten Form, Funktion und Schönheit eines Gebäudes im Vordergrund, setzen Lacaton Vassal ihre Prioritäten anders – ohne dass dabei die genannten Aspekte vernachlässigt werden. Es ist eine stille Architektur mit einer Ästhetik, die sich aus der Authentizität eines Projekts entwickelt. Es ist eine Ethik, die zum Nachdenken und zur Nachahmung herausfordert.

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