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Wenn Tischdecken Orientierung geben und Porzellan zur barrierefreien Gestaltung beiträgt

Im Idealfall sollte Design inklusiv sein. Ein Projekt der Hochschule Niederrhein zeigt, wie gute Gestaltung sehbeeinträchtigte Menschen im Alltag unterstützen kann. 
Text Uta Abendroth
Datum27.06.2025

Gutes Design macht das Leben leichter, klar. So führt der demografische Wandel etwa dazu, dass immer mehr Produkte für ältere Menschen gestaltet werden. Aber wie sieht es mit Entwürfen für Menschen aus, die schon in jüngeren Jahren Einschränkungen haben? An der Hochschule Niederrhein haben die Professorinnen Lisa Freyschmidt, Nora Gummert-Hauser und Anna Koch das Projekt „Tabletop & Textile“ initiiert. Dabei haben Studierende aus dem Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik sowie aus dem Fachbereich Design gemeinsam die Beziehung zwischen Tischwäsche und Geschirr erforscht. Sie bezogen dabei ästhetische, funktionale, gesellschaftliche und soziale Aspekte in ihre Arbeiten ein.

Das Projekt zeigt, wie Design Esskultur sozial und barrierefrei gestaltet.

Zwei Disziplinen, ein gemeinsames Ziel

Das Frühstück, die festliche Tafel oder das alltägliche Essen – Tischwäsche und Porzellan sind untrennbar mit unserer Esskultur verbunden. Im Projekt „Tabletop & Textile“ wurden diese beiden Bereiche nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrer Wechselwirkung erforscht. Studierende aus Textildesign und Produktdesign arbeiteten transdisziplinär zusammen, um herauszufinden, wie sich die Verbindung von Stoff und Keramik auf Tischrituale, Kommunikation und das Servieren auswirkt. Dabei entstanden spannende Fragen: Können Teller und Platzsets ihre Funktionen tauschen? Unterstützt die Symbiose von Material und Form die Erlebnisgastronomie? Können innovative Technologien wie 3D-Druck aus Textil und Porzellan neue Perspektiven schaffen? Die gemeinsame Gestaltung von Tischwäsche und Geschirr eröffnete überraschend neue Sichtweisen auf das gedeckte Tischbild und zeigte, wie Produkte in einem gesellschaftlichen Kontext interagieren.

Haptisch erfahrbare Markierungen auf Tischwäsche und Geschirr als Schlüssel zur Inklusion.

Inklusive Gestaltung durch Designforschung

Im Rahmen des Projekts lernten sich der Produktdesigner Leon Böckling und die Textildesignerin Johanna Reichardt kennen. Aus ihrer Zusammenarbeit entstand eine Bachelorarbeit, die sich der inklusiven Gestaltung widmet. Ihre zentrale These lautet: Durch erhabene Muster, taktile Reliefs und kontrastreiche Farbgestaltung lassen sich Tischwaren entwickeln, die für blinde, sehbeeinträchtigte und sehende Menschen gleichermaßen nutzbar sind. Die Kollektion umfasst eine bestickte Tischdecke mit fühlbaren Orientierungslinien, die anzeigen, wo Teller und Besteck zu platzieren sind. Ergänzt wird das Ensemble durch Porzellanteile mit taktilen Oberflächenstrukturen und deutlichen Farbkontrasten, die eine intuitive und gleichberechtigte Nutzung ermöglichen. 

Johanna Reichardt und Leon Böckling entwarfen die inklusive Tableware-Kollektion „Blind Spot“ im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der Hochschule Niederrhein.

Gestaltung im Dialog – Forschung mit der Zielgruppe

Zu Beginn ihrer Arbeit analysierten Johanna und Leon bestehende Produkte für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen, um den aktuellen Stand der Forschung zu erfassen. Sie führten eine Umfrage unter Betroffenen durch, um deren Bedürfnisse und Wünsche besser zu verstehen. Die Zielgruppe umfasst erwachsene Menschen und Senioren, die Wert auf Ästhetik, Funktionalität und Nachhaltigkeit legen. Besonders angesprochen werden inklusive Haushalte, in denen sehende und nicht sehende Menschen zusammenleben. Die Erkenntnisse flossen in ein ganzheitliches Designsystem ein, bei dem Orientierungshilfen und ästhetische Ansprüche sich nicht widersprechen, sondern ergänzen. In einer Testphase zeigte sich, dass die entwickelte Kollektion es allen Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, den Tisch selbstständig zu decken und so mehr Selbstständigkeit im Alltag fördert.

Tabletop & Textile – Gestaltung als Forschung im Alltag

„Tabletop & Textile“ steht exemplarisch für den Ansatz der Hochschule Niederrhein, Design nicht isoliert, sondern immer im Kontext von sozialen, ästhetischen und technologischen Fragestellungen zu verstehen. Studierende aus den Fachbereichen Produktdesign, Textil- und Bekleidungstechnik sowie Kommunikationsdesign arbeiten gemeinsam an der Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Objekten, Materialien und Ritualen. Dabei werden neue Materialien und Technologien wie 3D-Druck eingesetzt, um traditionelle Esskulturen zu hinterfragen und innovative Gestaltungsperspektiven zu entwickeln. Die Prototypen des Projekts entstanden vollständig in den Werkstätten der Hochschule und wurden auf der Messe „Ambiente“ präsentiert. Das Projekt zeigt, wie praxisnahe Lehre, gesellschaftlicher Anspruch und materialtechnologische Innovationen zusammenwirken können.

Das Zusammenspiel von Materialien prägt das Erlebnis am Esstisch.

Die Hochschule Niederrhein – Tradition und Innovation

Mit rund 13.000 Studierenden und zehn Fachbereichen gehört die Hochschule Niederrhein zu den größten Fachhochschulen in Deutschland. Ihre Wurzeln reichen bis ins Jahr 1855 zurück, als in Krefeld die „Crefelder Höhere Webeschule“ gegründet wurde. Aus dieser historischen Tradition entstand ein starker Fokus auf Textil- und Bekleidungstechnik sowie auf Gestaltung und Produktentwicklung. Heute ist die Hochschule ein bedeutender Innovationsmotor, der Theorie und Praxis verbindet und Zukunftstechnologien fördert. Projekte wie „Tabletop & Textile“ verdeutlichen, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Perspektiven schafft – auf Inklusion, Materialität und den gedeckten Tisch als sozialen Begegnungsort.

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