Architektur
Architektur

Die Hermès-Manufaktur wird zum Raum, in dem Handwerk auf ganz klare Architektur trifft

Die Hermès-Manufaktur ist ein durchdachtes architektonisches Ensemble, das Handwerk, Präzision und den Anspruch der Marke subtil spürbar macht. Räume, Lichtführung und Proportionen schaffen eine Atmosphäre, in der jede Bewegung der Handwerker sichtbar wird und die luxuriösen Produkte eine Bühne finden.
Text Yvonne Dewerne
Datum17.10.2025

In Louviers, zwischen Hügeln der Normandie, steht eine Werkstatt von Hermès, die mehr ist als ein Industriegebäude. Lina Ghotmeh hat hier einen Baukörper entworfen, der auf den ersten Blick streng wirkt, sich bei näherem Hinsehen aber in überraschend feinen Nuancen erschließt. Licht, Material und Raumführung bestimmen das Erlebnis ebenso wie die Rhythmik der Architektur, die gleichzeitig Funktion und Präsenz vermittelt. Wer die Fassade betrachtet, ahnt bereits, dass hier Handwerk und Architektur aufeinander treffen, ohne dass die Form das Handwerk überlagert.

Die rhythmisch angeordneten Bögen der Fassade strukturieren Außen- und Innenräume.

Galoppierende Bögen aus Ziegeln

Der Neubau in Louviers erhebt sich auf dem Gelände einer ehemaligen Industriebrache als eingeschossiger Werkstattbau, dessen Grundriss konsequent auf Klarheit und Struktur ausgerichtet ist. Die Fassade wird von über einer halben Million handgefertigter Ziegel aus regionalem Ton geprägt, die in einem präzisen Raster gesetzt sind und den Rhythmus der Architektur bestimmen. Weitgespannte Bögen öffnen die Räume, schaffen Durchblicke zwischen Werkstätten und Innenhof und verbinden das Gebäude mit seiner Umgebung. Oberlichter und große Fensteröffnungen lenken das Tageslicht tief in die Arbeitsbereiche, während die Schottenwände im 9-Meter-Raster die Flächen gliedern und einen menschlichen Maßstab herstellen. Die flache Holzbalkendecke spannt über die Werkstätten und sorgt zusammen mit der diffusen Lichtführung für ein ausgewogenes Raumgefühl, das Funktionalität und architektonische Ruhe vereint.

Perspektive auf die Bogenreihe, die das Gebäude rhythmisch gliedert.

Ein Raummaß für Hand und Blick

Große Bogenöffnungen und Oberlichter sorgen für natürliche Belichtung und eine gleichmäßige Ausleuchtung der Arbeitsbereiche. Schottenwände im 9-Meter-Raster gliedern die Werkstätten, schaffen Orientierung und definieren die Raumgrößen im menschlichen Maßstab. Die flache Holzbalkendecke überspannt die Räume und verleiht ihnen eine ruhige Ordnung. Das Licht fällt diffus auf die Arbeitsflächen, unterstützt die Funktion der Räume und reduziert gleichzeitig den Energiebedarf für künstliche Beleuchtung.

Die Logik der Ziegel

Die Ziegel bestehen aus regionalem Ton, ihre Farbschattierungen variieren zwischen Rot- und Violetttönen. Die massive Konstruktion wird durch die Bogenform strukturell unterstützt. Die Fassadenöffnungen sind so dimensioniert, dass sie ausreichend Tageslicht einlassen, ohne den klimatischen Komfort zu beeinträchtigen. Der Baukörper ist klar gegliedert, die Anordnung von Bögen, Wänden und Durchgängen folgt einem orthogonalen Raster, das Funktion und Struktur konsequent verbindet.

Detailaufnahme der Ziegelstruktur zeigt die Präzision handwerklicher Verarbeitung.

Energie als architektonisches Element

Das Gebäude ist als erstes Industriegebäude Frankreichs mit der E4C2-Zertifizierung ausgezeichnet. Photovoltaikmodule auf 2300 Quadratmetern Dachfläche speisen eine Erdwärmepumpe, die über 13 Sonden von 150 Metern Tiefe betrieben wird. Querlüftung und Oberlichter reduzieren den Bedarf an Heizung und künstlicher Beleuchtung. Die Landschaft um das Gebäude wurde aus Aushubmaterial gestaltet, Regenwasser wird rückgeführt, und die Gärten fördern Biodiversität. Architektur, Technik und Energieeffizienz sind hier konsequent aufeinander abgestimmt.

Hof und Blickbeziehungen

Der zentrale Innenhof, der als Verteilerraum dient, verbindet die Werkstätten und dient zugleich als Kommunikationsfläche. Die Gebäudeachsen folgen der Topografie des Geländes und schaffen klare Blickbeziehungen zwischen Innen- und Außenbereichen. Die Baukörper sind so positioniert, dass sie sich in die leicht modellierte Landschaft einfügen und die natürliche Belichtung der Werkstätten maximieren.

Das Gebäude verknüpft funktionale Anforderungen mit klarer architektonischer Sprache.

Präzision in jedem Detail

Die Architektur der Maroquinerie de Louviers ist funktional, klar gegliedert und auf Handwerksprozesse ausgerichtet. Jede Entscheidung, von den Bögen über das Ziegelmaterial bis zu den Oberlichtern, ist auf Effizienz, Ergonomie und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Das Ergebnis ist ein Industriegebäude, das seine Nutzung konsequent widerspiegelt, ohne dekorative Überhöhung, und in dem Architektur, Material und Technik eine klar erkennbare Einheit bilden.

Architektur